Dienstag, 14. August 2012

text /// Am Boden. Erster Teil.


Meine spröden Lippen sind eingeschmiert mit einer brennenden Paste. Mein ganzer Kopf beginnt zu glühen, Fieber?

Es gibt nichts Beschisseneres als aufzuwachen und die eigene Hand vor Augen nicht zu sehen. Mein Nacken schmerzt, meine Schläfe fühlt sich an, als wäre ein gepanzerter Geländewagen einmal quer durch mein Gesicht gedriftet und hätte direkt über meinem rechten Auge einen mit Spikes gespickten Reifen in meine Haut gewuchtet. Mein Mund ist trocken, salziger Schleim liegt auf meinem Gaumen. Unter Schmerzen löse ich meine festgeklebte Zunge von der Oberseite meiner Mundhöhle. Der Geschmack schlägt um. Bittere Brocken kleben wie festgetackert an meinen Zähnen. Meine taube Zunge fühlt sich geschwollen an. Ich muss husten. Dicke Stücke würgen sich meine Speiseröhre hinauf in die schmalzige Rosette am Ende des fauligen Loches, das mal mein Mund war. Kotze? Ist das Kotze? Mit einem lauten „Scheiße, Gott“ bete ich zum Herr und Erlöser es wäre so. Blut? Kann das Blut sein? 

Es ist immer noch dunkel. Und warm. Langsam gewöhnt sich meine Nase an die dicke, stickige Luft. Es riecht verbrannt, nach abgestandenem Bier und Männerschweiß. Ich rieche nach abgestandenem Bier und Männerschweiß. Ich drehe mich auf den Rücken, stöhne vor Schmerz und massiere meine Zunge zwischen rechtem Daumen und Zeigefinger. Wieder ein anderer Geschmack. Unerklärlich. Aber eklig. Meine spröden Lippen sind eingeschmiert mit einer brennenden Paste. Mein ganzer Kopf beginnt zu glühen, Fieber? Ich versuche mich zu sammeln, unfähig aufzustehen oder meine Umgebung abzutasten. Meine Hände suchen den Weg in mein Gesicht, die linke Hand reagiert nicht. Liegt wie eine benommene Anakonda auf meinem Bauch, schmerzt, pocht und zittert unregelmäßig. Ich fahre mir durchs Haar. Es ist verklebt. Am Haaransatz bemerke ich feuchtklamme Stellen die sich wie Sumpfmoore aus Haaren und flüssigem Gel langsam aber entschieden zu einem klebrigen Brei verhärten wollen. Immerhin habe ich noch etwas an, denke ich. An meinen Bauchhaaren klebt mein Shirt seitlich eingedreht und zum Bersten gespannt wie eine betonartige Slim-Fit-Folie, so dick wie ein Neoprenanzug. Was soll der Scheiß? Was soll dieser ganze Scheiß, denk ich.

Ich atme zweimal tief durch, setze mich auf und rolle schon bevor ich überhaupt eine menschenwürdige, aufrechte Position eingenommen habe, seitlich nach links weg, stoße mir den Kopf an einem beschissen harten Gegenstand im endlosen Arschlochdunkel und beginne bröckchenweise unter Flüchen den schleimigen Inhalt meines Mundes über mein Kinn zu ergießen. Was für ein bekackter Start in den Tag. Zweiter Versuch. Der stechende Schmerz in meinen Lenden hindert mich daran, wirklich schnell eine angenehme Sitzposition einzunehmen, ich kauere auf dem Boden, während mir mein gerade ausgeworfenes Speichel-Brocken-Sekret lauwarm zwischen Haut und Shirt die Brust entlang läuft. Ich hoffe, dass sich das wenigstens lohnt und die Brühe mein Shirt von meinen Bauchhaaren loslöst. Ein Versuch ist es in dieser Situation allemal wert.

Ich blinzle ins Dunkel. Schemenhafte Umrisse. Ein müder, fahler Lichtschlitz an der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Möglicherweise ein Vorhang, dahinter – hoffentlich – ein Fenster. Der Versuch eine konzentrierte Schätzung zur Entfernung des womöglich rettenden Tageslichtes zu treffen, lässt mich verzweifeln. Sind es zehn Meter? Oder nur fünf? Ich muss wieder Husten. Aus Gewohnheit hebe ich die linke Hand in Richtung Mund, um eventuelle stinkende und toxische Mörser, welche in beängstigender Zahl aus meinem Mund plumpsen, adäquat auffangen zu können. Meine Hand bringt es jedoch nur auf Höhe meiner Brust, dann wird der Schmerz zu groß. Ich schreie auf, verziehe mein Gesicht zu einer zertretenden Kartoffel – so glaube ich zumindest muss es ausgesehen haben, hätte mir jemand zugeschaut – und lasse mich vor lauter Erschöpfung nach hinten fallen. Mit einem lauten Knall schlägt mein Hinterkopf gegen das beschissen harte Ding hinter mir. Ich röchle. Verschlucke mich an meinem eigenen, dickflüssigen Speichel und würge einige klumpige Stöße sauerriechende Galle hervor. Es läuft mir erst warm den Nacken runter, dann den Rücken. Der schmale goldene Schlitz am anderen Ende der Dunkelheit verschwimmt, verzerrt sich vertikal und diagonal durch mein Sichtfeld. Ich kippe halb sitzend, halb liegend auf die Seite, spüre wie die Wärme meine Kimme erreicht, kotze einen mickrigen Schwall Suppe auf den kalten Boden und verliere das Bewusstsein. 

Was für ein beschissener Start in den Tag.

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