Donnerstag, 23. August 2012

text /// Laura mag keine Nüsse.


Christian liebt Laura. Und heute noch wie am ersten Tag. Wenn man Christian fragt wie es so läuft, lässt er sich nicht Lumpen. Du kennst das doch- nach ein oder zwei Jahren, sagt er und klopft einem lächelnd auf die Schulter. Ich mag Christian. Er ist das, was in diesen total Independent wirkenden Szene-Kolumnen gern als der echte, der „reale“ Berliner bezeichnet wird. Durchs Studium arbeitete er sich durch- mal gut, mal schlecht. 

Ebenso durch Kultur und Nachtleben. Er ist mittendrin, und trotzdem normal. Keiner der einen Jute-Beutel anstelle eines Rucksacks hat, nur enge Hosen und knallbunte Wolfs-Shirts trägt oder auf der Gästeliste der Kiez-Clubs steht. Christian hört zwar die neuste Musik, ist aber nicht abgedreht. Ist gut gekleidet, hat aber mehr als nur Matratze und MacBook im Zimmer. Sitzt auch abends mal nur neben Laura auf der geschenkten Couch von Schwiegermama und guckt Tatort, anstatt immer im Kiez Trends zu setzen. Christian ist normal- einer wie du und ich. Längst nicht so abgefahren wie alle behaupten, längst nicht so Berlin wie alle denken. Neben der Couch von Schwiegermama hat Christian ein Bild von Laura zu stehen. Christian ist ein feiner Kerl.

Christian liebt Laura. Und Laura möchte Kinder. Nicht unbedingt gleich. Aber bald. Sie sagt, vielleicht so in zwei oder drei Jahren. Dann wäre man lange genug zusammen, schon fast sechs Jahre. Es würde auch ganz gut passen. Christian hätte fertig studiert, sie eben auch. Ein Kind und am besten noch das zweite hinterher, Familienleben in absehbarer Zeit. Schön, und Laura grinst wenn sie mir am Tisch unten beim Italiener an der Ecke davon erzählt. Wenn ich Christian angucke dann sehe ich die Freude, nur reden tut er darüber nicht. Er ist kein Mann der großen Worte, wie man so schön sagt. Aber er ist ein Familienmensch, hat Bruder und Schwester- ist das mittlere von drei Kindern. Seine Eltern wohnen im dicken Speckgürtel von Berlin- kein Landadel oder Großgrundbesitzer- und helfen ihren Kindern wo es nur geht. Laura bekommt von Schwiegermama regelmäßig Anrufe- die beiden verstehen sich. Auch bei Lauras Eltern hat Christian ein Stein im Brett. Sie wissen er meint es ernst, ihre Prinzessin ist gut aufgehoben. Papas ganzer Stolz ist gut aufgehoben. Christian ist ein Familienmensch.

Christian liebt Laura. Die gemeinsame Wohnung ist auf den ersten Blick unscheinbar eingerichtet. Zwei Zimmer, Balkon, Küche, Bad, langgezogener Flur. Vierte Etage im Altbau. Natürlich Friedrichshain, ein wenig Szene sind die beiden schon- Laura mit Hippie-Stirnband und ihrer Schwäche für schwedische Indiebands, Christian mit seiner Affinität zu französischem Kino und der minimalistischen Maler- und Musikerzunft. Trotzdessen oder vielleicht gerade deswegen gleicht ihre Wohnung einer verliebten Ansammlung von Kuriositäten und Sammlungen. Christians Comic-Hefte, von Laura ebenso verteufelt wie geliebt, schmücken das Wandregal neben Gläschen gefüllt mit Sand, von Laura beschriftet nach Urlaubsort und Datum. Seine immense Filmsammlung erdrückt ihr antik aussehendes Schrankerbstück, ihre Lieblingsnähmaschine steht immer im Weg und ist ja auch sonst viel zu laut. Christian und Laura haben normale Probleme und Träume. Wenn wir dann das Kind bekommen, ziehen wir sicher hier weg. Irgendwohin wo es ein bisschen ruhiger ist, sagt Laura und nippt am schweren italienischen Rotwein. Die Herbstsonne gibt sich nochmal alle Mühe uns den Abend auf der Terrasse beim Italiener zu versüßen. Wenn sie so etwas sagt, sagt Christian meist nichts. Lächelt nur zufrieden und gibt seiner Laura einen Kuss auf die Haare oder die Stirn, eben dorthin, wo es sich gerade am besten machen lässt. Christian ist unproblematisch. Und wenn du ihn sehen könntest, wüsstest du alles. Seine Liebe. Seine Hoffnungen. Sein Glück mit dieser Frau. Christian ist kein Mann der großen Worte.

Christian liebt Laura. Zu Weihnachten macht Christian seiner Laura einen Antrag. Man müsse ja nichts überstürzen mit einer großen Hochzeit, hatte er mir noch einen Tag vorher gesagt, aber ein Antrag kann nicht schaden. Er lacht. Heiraten könne man ja dann immer noch, wenn die Zeit es hergibt. Vielleicht im Herbst. Ich freue mich für die beiden. Der Italiener an der Ecke gibt einen aus. Laura strahlt. Ihr Christian ist ein feiner Kerl. Die Nacht wird lang, ein schöner Winter, sagt sie. Laura liebt ihren Christian.

Christian liebt Laura. Christian ist kein Mann der großen Worte. Christian ist ein feiner Kerl. Christian ist einer, wie du und ich. Kommst du vorbei, fragt er am Telefon. Ich hab Feierabend und mach das gern. Ein Abend beim Italiener an der Ecke, unser Lieblingsplatz. Draußen die ersten Sonnenstrahlen vom Frühling. Fein. Mit Laura und Christian eine gute Flasche Wein leeren.

Christian öffnet die Tür. Laura ist heute Nachmittag umgefallen, einfach so. Einfach so. Er sagt es fast wertfrei. Es klingt fast emotionslos, und er ringt dabei mit den Tränen. Seine Unterlippe bebt, sie sucht nach Fassung. Er wirkt gefasst, außer seinen Augen verrät nichts seine Furcht. Einfach so. Einfach so. Die Tür schließt sich. In der Uni ist sie umgefallen. Christians Hände beginnen zu zittern. Scheiße, sagt Christian, so´ne verdammte scheiße. Ich fahre mit ihm ins Krankenhaus. Christian liebt Laura.

Die Zeit beeilt sich, und sie dehnt sich. Sekunden werden zu Wochen und Stunden zu Momenten. Wir reden kaum ein Wort. Und warten. Und warten.

Laura ist Mitte zwanzig, als ein unentdeckter Tumor im Gehirn, inoperabel und Walnuss-groß, ihr Leben schlagartig beendet. Christian sagt, sie mochte keine Nüsse und fängt an zu weinen. Christian ist kein Mann der großen Worte.

Die schlimmsten Geschichten schreibt das Leben, sagt man. Wussten Sie, dass ihre Freundin schwanger war, fragt der Arzt.

Christian liebt Laura.

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