Sonntag, 7. Oktober 2012

text /// Meine siebzehn Sekunden mit mir.


Oder: Die Gedanken sind frei. Und dabei soll es auch bleiben.
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Du kommst ins Bett und klemmst deine kalten Füße zwischen meine Beine, ziehst dir die Decke bis zum Kinn. Mein nun blanker Arsch spiegelt sich im Fenster, die Tauben lachen. Ich kratze die linke Backe.

"Was denkst du?", stellst du die Frage aller Fragen und ich beiße mir innerlich nicht nur auf die Lippen, sondern auf alle Schlaufen und Windungen von Dick-, Dünn- und Enddarm um nicht sofort mit der Wahrheit herauszuplatzen. Das erklärt die plötzlichen Bauchschmerzen. Ich drehe mich zum Fenster und vergrabe den Kopf im Kissen.

'Ich denke daran, welches Outfit ich tragen würde, wenn ich ein Superheld wäre und ob ich lieber für die Guten oder die Bösen kämpfen würde, welche Superkräfte ich gerne hätte und ob ich mir einen Lakaien zulege oder nicht - letztlich finde ich Alfred schon ganz cool. Ich denke an mein Auto und den nächsten TÜV-Termin. Ich denke darüber nach, wie Dortmund das Spiel gestern Abend doch noch aus der Hand geben konnte und wann Löw endlich zurücktritt und wer danach Bundestrainer werden könnte. Vielleicht Klopp oder mal ein Ausländer? Ich denke an Lina aus dem Büro, die mir eigentlich gestern schon die Verträge rüber schicken wollte. Dumme Schlampe. Björn aus der Online-Abteilung meinte, dass sie leicht zu haben wäre und der Nottmeier aus dem Dritten wohl was mit ihr hatte. Der Drecksack. Ich denke daran, dass morgen Samstag ist und ich noch den Kasten Berliner Pilsener im Angebot kaufen will, immerhin spare ich da nen paar Euro. Ich denke an die offenen Rechnungen auf dem Küchentisch und den Besuch deiner Eltern am Sonntag. Dein Vater trinkt kein Berliner, also denke ich hoffentlich morgen daran noch nen Sixpack von der Pisse zu holen, die er trinkt: Becks. Typisch Wessi. Ich denke an Markus, Tom und Jannes die jetzt gerade in den Alpen Steilwände hochklettern und lebensmüde über Abhänge hangeln. Ich denke an die beschissene DHL, weil das Päckchen mit FIFA13 für meine PlayStation immer noch nicht da ist und sollte es morgen kommen, hätte ich erst Sonntag Zeit zu spielen, aber dann sind deine Eltern da und dann kann ich mich wohl schlecht vor den Fernseher hocken. Das ist scheiße. Ich denke an die gestiegenen Stromkosten und die Lage in Syrien, und ich denke an Peer Steinbrück, mit dem kann die SPD jetzt schon einpacken.'

Du robbst dich näher an mich heran. Ich spüre deine Brüste und den Stoff deines Shirts an meinem Rücken.

'Ich denke daran, wie gut du riechst, wenn du aus dem Bad kommst und wie gerne ich in diesen Momenten in dich reinbeißen würde wie in einen süßen Apfel. Ich denke an dich, wie du heute morgen nackt auf mir gesessen hast und meinen Schwanz in der Hand hattest. Ich denke darüber nach, wann wir davor das letzte Mal Morgensex hatten. Ich denke daran, dass du nach all den Jahren immer noch wunderhübsch bist. Egal ob Sekunden nach dem Aufwachen, in der Mittagssonne oder im Mondlicht - in Abendkleid, Jeans oder Jogginghose. Du bist immer wunderhübsch. Ich denke an deine Haare, die im heißen Sommer an deinen Wangen kleben und im Winter aus der Kapuze herausgucken. Ich denke an deine weiche Haut, und deine Brüste, deine Wangenknochen, deinen Nacken, deine Beine und deine Füße. Und plötzlich denke ich auch wieder an Hobbits und meine haarigen Füße und wie gern ich manchmal ein Hobbit wäre. Ich denke an das Lembasbrot der Elben und an das Steak, das es morgen Mittag hoffentlich geben wird. Und ich denke an die Bundesliga am Wochenende. An meine abgegebenen Tipps für die Spiele und wie viel Geld ich gewinnen könnte, wenn ich doch nur einmal alles richtig tippen würde. Ich denke an die fehlende Schraube im Badschrank und an meine Steuererklärung. Ich denke über unsere Zukunft nach und über Kinder. Ich denke an einen Hund. Oder eine Katze. Ich denke an eine größere Wohnung.'

"Hey, sag schon!", forderst du eine Antwort, setzt dich auf und haust mir sanft auf den Oberarm. 

Ich drehe mich zu dir und ziehe dich an mich. Deine warme Haut berührt meine, du atmest ruhig und dein Haar riecht nach Geborgenheit. Ich denke darüber nach, dass ich dir das alles hätte antworten können in den letzten siebzehn Sekunden. Stattdessen:

"Ich denke die ganze Zeit nur an dich."

Du lächelst, gibst mir einen Kuss und schließt die Augen. Ich ziehe die Decke über meinen Hintern und knipse das Licht aus. Gut gerettet, denke ich. 

2 Kommentare:

  1. Ich wünschte Männer würden auf diese jene Frage genau so antworten wie du es beschrieben hast. Beide Versionen. Sonst würd ich ja nicht fragen. Stattdessen so ein Geschmalze. Hmm.

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  2. geschmalze ist ja auch mal ganz wichtig für eine beziehung. ;)

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