Donnerstag, 17. Januar 2013

text /// Wir können keine Freunde bleiben.


Deine Augenringe verraten dich. Ich weiß wie es um dich steht. Du zählst die Zigaretten die ich rauche und du weißt, was ich denke.
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Und wir sitzen nebeneinander. Das Bier ist längst schal. Der Zigarettenqualm verwandelt den Raum in ein Dickicht aus Grau und Nebel. Der Bildschirm vor uns flimmert in blassem blau und grün. Zwischen uns liegt der Aschenbecher, dein zerknülltes Softpack ist seit Mitternacht leer. Durch das dreckig-milchige Fenster dämmert der Morgen.

Früher haben wir so viel geredet – über Beziehungen und deine Arbeit und mein Studium und deine Eltern und meine Frauengeschichten. Jetzt sitzen wir nebeneinander und schweigen. Du siehst müde aus, doch keiner von uns denkt daran ins Bett zu gehen. Keiner wird zurückgelassen. Wir sind wie Soldaten im Schützengraben: alle oder keiner. Und sollte diese Dämmerung noch Tage dauern, wir bleiben wach.

Deine Augenringe verraten dich. Ich weiß wie es um dich steht. Du zählst die Zigaretten die ich rauche und du weißt, was ich denke. Ich habe keine weisen Lösungen für dich, keine Durchhalteparolen und keine gut gemeinten Ratschläge. Wir wissen, dass du kurz vor dem Ende stehst und dass der Ast nach dem du greifst, für dich unerreichbar scheint. Dieser Abend ist der letzte Zentimeter vor dem Wurmloch, das alles verschlingen wird.

Es riecht nach Whisky und Filterzigaretten, zwischen uns türmt sich ein Berg von Burgerpackungen vom Lieferservice. Wir müssen da bleiben, wach bleiben, füreinander da sein. Denn Schlaf ist für uns beide nicht gut. Schlaf bedeutet, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Das Ende eines Abends ohne Missverständnisse, ohne Scham, ohne Geheimnisse und ohne Furcht vor der Wahrheit. Das Ende eines Kapitels. Wir reden über unsere Ängste ohne ein Wort zu verlieren. Wir haben nichts zu verlieren. Denn noch haben wir uns. Wenn wir schlafen und aufwachen, fühlt sich alles unwirklich an, fern und unnahbar. Wie im Traum fremd und unwirklich. Doch die Wirklichkeit steht grimassenschneidend zwischen uns. Sie lacht uns ins Gesicht. Sie lacht laut und grinst und spuckt uns an.

Du hast geweint – und dich gefangen. Beteuert wie Leid es dir tut und mich um Verständnis gebeten. Ich habe kein Verständnis, wenn es um sie geht, doch ich habe Verständnis für dich.

Und wenn es Morgen ist, kann ich dir nicht verzeihen, was du ihr angetan hast. Und sobald Morgen ist, kann ich dir nicht verzeihen, was du dir angetan hast. In mir steigt Leere auf.

Und wir sitzen seit Stunden nebeneinander. Wir sagen nichts und die Stille sagt alles über uns. Über unsere Ohnmacht, über unsere Angst, über uns. Wir teilen uns die letzte Zigarette. Die allerletzte Zigarette. Und wenn sie morgen anruft, weiß ich, dass Blut dicker ist als Wasser. Und dass sie zu mir gehört. Und ich dich gehen lassen muss. Weil ich sie nie gehen lassen würde. Niemals.

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