Donnerstag, 13. Februar 2014

text /// Du. Der Wal.


„Nur schlafen kann ich nicht. Da ist noch zu viel. Zu viel haben wir einfach nie gesagt. Zu viel steht im Raum und egal welche Schulter ich voran drücke, ich hab immer das Gefühl, ich kann mich nicht vorbei zwängen. Auf zwanzig Quadratmetern steht sie mir im Weg und grinst zwischen Einbauküche und Couch so lieblich. Sonnendurchtränkt steht sie vor mir im Dunkel und unter einer Haarsträhne blitzen ihre Augen mich an, während sie sich ganz langsam in den luftleeren Raum zwischen mir und der Tür schiebt. Es gibt kein Entkommen. Kein Weg vorbei. Nur kalte Mauern oder warme Haut und die Wahl zwischen beiden sollte mir nicht schwer fallen – doch irgendwie tut sie es.

Atemlos, wie nach tausend Stufen, stehe ich nur Millimeter vor ihr, spüre ihren Atem und das Glitzern ihrer Gedanken und bin geblendet von der Farbe ihrer Haut. Ihre bloße Anwesenheit lässt mich zittern, gedankenverloren Löcher im Raum zählen und butterweich auf Zahnstochern einen Schritt neben den anderen setzen. So fühlt man sich also im Maul vom Wal. Meine Harpune hab ich schon lange an den Nagel gehängt. Waffenlos zwingt mich die Enge zum Rückzug, oder eben zum selbstlosen Angriff nach vorn. Die Gezeiten sind schon lange über uns eingebrochen, haben uns mehrfach in Ebbe und Flut an Strand und Sandbank gespült und uns Salz und Wasser und Tran und Sand schmecken lassen. Doch nicht alles, was den Wellen unterliegt wird abgerundet und weich und zu einer matten Scherbe im Sand – aller Ecken und Kanten beraubt und ohne tiefe Schnitte im Fleisch Richtung Sonne streckbar. Unser Scherben-Kaleidoskop funkelt und bricht die Farben so wie wir es wollen, doch bilden die Schatten ihre Fratzen an den kahlen Wänden der heruntergelassenen Rolläden und ich spüre nur Zweifel und will flüchten. Flucht ist kein Ausweg. Eine Flucht vor ihr kann nicht der einzige Weg sein, um zu flüchten – vor mir. Dabei will ich nicht weg. Ich will gar nicht weg. Eigentlich, eigentlich will ich nur viel näher zu ihr. Es geht nur nicht. Und ich weiß nicht warum.“

Er reicht mir die Selbstgedrehte Grüne und schenkt uns beiden das Glas halbvoll ein. Seine Augen starren an die vergilbte Tapete, als er sich auf dem Sofa zurücklehnt. Ich nehme einen Schluck und schicke eine Rauchwolke auf die Reise. „Weißt du was ich meine?“


Seine Frage wabbert lange zwischen Schnaps und Qualm im Raum. Wir haben Zeit. So unendlich viel Zeit, scheint es. 'Wie sind wir von Moby Dick jetzt dahin gekommen?', frage ich mich. Als es mir einfällt, nicke ich gedankenverloren und nippe am Glas. Brennend erinnert mich meine Zunge an meinen Wecker und die tickende Uhr über dem Türrahmen. „Wenigstens einer“, höre ich ihn sagen.

Ich kneife die Augen zusammen und hebe mein Glas. Seine Augen sind geschlossen, sein Bart saugt gerade eine Träne auf. Eine Träne, groß wie ein Wal.
Er ist der Wal – schwerfällig und verlässlich, gutmütig und verletzlich. Und ich kann ihn nicht retten. Weil manchmal kein Rat besser ist. Zumindest dann, wenn er ruhigen Schlaf bringt. Und den verdient der Wal.  




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