Und wir treten nicht mehr in die
Ketten, wir lassen uns rollen. In deinem Fahrradkorb klimpern die Weinflaschen.
Du fährst neben mir und die Sonne verschwindet langsam hinter den
Plattenbauten. Der Rauch deiner Zigarette zieht in dünnen Fäden in den warmen
Frühlingshimmel und alles um dich herum glüht im Flimmern der letzten
Augenblicke des Tages. Es ist zum ersten Mal richtig warm. Ich sehe dir von
hinten über die Schulter und kann dein Lächeln nur erahnen. Es schmückt dein
Gesicht in den lieblichsten Zügen. Du fühlst dich frei mit dem Wind im Gesicht,
hast du mir mal erzählt. Und am wohlsten fühltest du dich am steilen Abhang am
Nordkap. Zwischen Felsen und glasklarer Luft und dem feuchten Salz auf deiner
Haut. Denn der Gedanke an ein Ende, das Ende deines Kontinents, ließ dich
glühwürmchenhaft alles um deinen dünnen Körper erleuchten.
Könnt ich hier sterben, wollt ich
nicht mehr leben. Du sagtest das mehr gelacht als gesprochen und wir beide
taten so, als wäre dieser Satz eine alberne Aneinanderreihung von Wörtern ohne
Sinn. Ich tat so, weil ich es nicht verstehen wollte. Du, weil du es verstanden
hattest. Und am Ende blickten wir durch die Glasfassade des Besucherzentrums in
die ruhige See, tranken Tee, hielten uns bei der Hand und schwiegen, weil der
Moment es von uns verlangte. Auf eine beruhigende Art schienst du hier
angekommen zu sein, geerdet und zu Hause. Dieser Ort, tief im nördlichsten Fels
unserer Welt, ummantelte dich wie eine dicke Decke und gab dir so viel
Geborgenheit, dass die Luft um dich herum still stand. Und da erst bemerkte
ich, dass ich dich verloren hatte, obwohl du noch meine Hand hieltest. Wir
tranken unsere Tassen aus. Und gingen.
Wie oft du neben mir gestorben
bist, weiß ich nicht mehr. Und wir waren nie wieder am Nordkap. Wir haben uns
noch einige Male an die Klippen gedacht und sind zwischen den kargen Felsen auf
und ab gegangen. Wir haben Blitze am Horizont beobachtet und die Wolken
aufziehen sehen. Und wir haben gewartet. Auf den Moment, an dem sich ein Ende
auf unserer runden Erde auftut und aus deiner Geborgenheit eine Ruhe wird, die
sich zwischen uns legt und das Atmen schwerer macht. Und wir haben uns nicht
aufgegeben, nur verloren. Irgendwo, zwischen den Glühwürmern und Kiefern und
dem Abgrund am Fuße der Klippen im Norden.
Und wenn dein Fahrrad zur Ruhe
kommt, du die Weinflaschen aus dem Korb nimmst und mir ins Gesicht lächelst,
dann strahlt die Sehnsucht aus deinen Augen. Gestorben bist du nie im Norden,
sondern in dieser Stadt zwischen Plattenbauten und schwerem Wein. Und den
Norden hast du nie wieder gesehen. Seit einiger Zeit schon treten wir nicht
mehr in die Ketten, sondern lassen uns Rollen. Den ganzen Weg bergab. Und wenn
irgendwann die Sonne hinter der letzten Häuserschlucht ins Nordmeer taucht,
wirst du sterben. Diese Stadt wird dich nicht vermissen. Und mir bleiben die
Orte, an denen die Luft noch von dir flimmert.
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