Samstag, 5. März 2016

text /// Leseprobe: Kapitel Zwei aus "Wir sind am Ende."

Folks,

das ist Kapitel Zwei aus meinem Kurzroman "Wir sind am Ende." als Leseprobe. Das Buch hat weder einen Erscheinungstermin, noch einen Verlag, noch ist es fertig. In loser Reihenfolge werde ich aber in den kommenden Monaten das ein oder andere Kapitel veröffentlichen. Ich hoffe euch gefällt's und ihr habt Spaß beim Lesen. Eure Meinung interessiert mich mega! Hoch die Tassen!

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Kapitel Zwei

Wir hatten uns vorher drei oder vier Mal gesehen. Meistens ziemlich betrunken auf Konzerten oder Geburtstagen von Freunden. In Wahrheit hatten wir nach dem ersten belanglosen Treffen festgestellt, dass wir uns auf zwei Dinge ohne Wenn und Aber verständigen konnten: Gin Tonic und Whisky Cola. Dieser Moment, wenn du einen alten Freund eines Freundes im Huxleys völlig betrunken an der Bar triffst, seinen Namen nur erahnen kannst und seine Freundin attraktiver als dein Date findest, schweißt zusammen. Vor allem, wenn seine Freundin mit dir für den Rest des Abends Gin Tonic und Whisky Cola trinkt, während er völlig fertig an der Bar lehnt und bei jeder Textzeile die obligatorischen Zehntelsekunden zu spät die Schlagworte schreit. Marie nahm es mit Fassung. Und mit Whisky. Als wir uns verabschiedeten dauerte ihre Umarmung einen Moment zu lange. Und sie war einen Tick zu fest. Und sie sagte die Worte „Bis bald“ etwas zu heiser und wehmütig. Was mir von diesem Abend außer einem Kater blieb? Die Erkenntnis, dass sonst immer ich betrunken an der Bar rumhänge. Für diesen Moment hatte ich alles richtig gemacht.


Als sie im Freundeskreis nach gebrauchten Möbeln und Küchengeräten fragte, war klar, dass sie sich getrennt hatte. Zwei Tage nachdem ich davon erfahren hatte traf ich Marie wieder. Unser Konzert im Huxleys lag schon Wochen zurück und wir liefen uns in einem Späti über den Weg. Bewaffnet mit Bier und Zigaretten umarmten wir uns irgendwie ungelenk – fast wie entfernte Verwandte, die sich noch nie gesehen haben aber trotzdem irgendwie familiär verbunden sind. Es war eine Umarmung, wie man sie von Gandalf und dem Papst erwarten würde, weil niemand von beiden so recht weiß, was der andere jetzt für eine Vorstellung der vermeintlich ersten und öffentlichen – ja es war ein Späti – Begrüßung hat. Wir waren Würdenträger und mussten unsere Würde bewahren, immerhin hatten wir unsere Glaubhaftigkeit als hippe Großstadtgören Ende Zwanzig schon durch den Kauf von Zigaretten und Bier unter Beweis gestellt. Jetzt galt es die Coolness zu bewahren, auch wenn es erst kurz nach elf war, musste man auf seine Streetcredibility achten. Das heißt im Wesentlichen: kein Lallen vor zwölf, kein Stolpern wo Laternen sind und um Gottes Willen nichts im Späti runterfallen lassen, weil man sich freut jemanden zu sehen. Du freust dich mit vier Bier im Arm nicht jemanden zu sehen. Und wenn doch, dann stell das Bier ab bevor du jemanden umarmst. 

Die erste Flasche schlug zwischen meinen Beinen ein. Sofort waren meine Schuhe tropfnass. Während ich bemerkte, dass sich gerade ein Unheil zwischen meinem und ihrem Körper zusammenbraute, schlug die nächste Flasche auf dem Boden des Spätis auf. Aufgeschreckt fuhr Marie zurück, doch ich konnte sie gerade noch halten, um das Abrutschen der nächsten Flasche zwischen meinem Arm und ihrer Jacke zu verhindern. Der Rest war eine traurige Zirkusnummer. Ich spürte, dass, egal wer von uns beiden sich nun bewegen würde, mir immer eine meiner zwei verbliebenen Flaschen zwischen Arm und Bauch an der wunderbar glatten Kunstfaserplastikoberfläche meiner Jacke weg rutschen würde. Das Wort Dilemma beschreibt es also ganz gut. Ich hatte eine wunderschöne, mir fast fremde Frau schon viel zu lange im Arm. Das wurde nun langsam peinlich. Andererseits konnte ich mich nicht dazu durchringen, auch noch die anderen beiden meiner 85 Cent teuren Babys auf die Fliesen klatschen zu lassen. Stattdessen versuchte ich ruhig zu atmen, um Marie die Situation zu erklären. „Okay, kein Problem. Wir schaffen das. Kennst du den Luftballontanz, so machen wir‘s jetzt. “, sagte sie und blickte zu mir auf. Sie war viel kleiner als ich und ihre Haare rochen nach Sheabutter und Tabak. Und zwischen unserem Auflachen und der Überzeugung, sie könnte tatsächlich Recht haben, leckte sie mir über die Wange.


Die Bierflaschen zwischen uns zerschellten auf dem harten Boden der Realität im Spätkauf am Ostkreuz und hinterließen dicke Kerben in den angegilbten Fliesen. In Filmen wird so eine Benommenheit ja immer mit einem sich drehenden Strudel dargestellt, völliger Quatsch. Ich hatte tatsächlich einen Sekundenblackout. In dem Moment, als ihre Zunge über meine Wange leckte, funktionierte mein Kopf wie eine Sicherung. Aus. Alles auf Anfang. An. Aha, so ist das also gerade gewesen. Ich blickte Marie an und schob die Scherben von vier Flaschen Bier mit dem durchnässten Schuh beiseite. Der Typ von der Kasse schlurfte wortlos mit einem Handbesen und Kehrblech in unsere Richtung. Von wegen in Berlin sind alle unfreundlich. Sie sah mich an, wir hatten nur noch unsere Zigarettenschachteln in den Händen, kein Bier stand zwischen uns. Schlurfende Geräusche vom Spätimann waren unsere Symphonie. Und in dem Moment, in dem ich auf ihre freche und völlig attraktiv-erotische Handlung des Über-Die-Wange-Leckens mit einem Kuss auf ihre Stirn antwortete, fühlte ich mich wie Sean Connery in einem seiner Bond-Filme: eigentlich schon cool, aber eben von vorgestern. 

Marie nahm es mit Fassung. Und mit Whisky. Wir kauften zwei Schachteln Zigaretten, vier kaputte Flaschen Bier und eine Flasche Daniels. Auf dem Heimweg liefen wir nicht Hand in Hand, aber beide in dieselbe Richtung. 



1 Kommentar:

  1. Sehr gut & danke fürs teilen! Deine art zu schreiben startet einen unscharfen film mit viel emotion in meinem kopf, das mag ich. gerne noch ein kapitel
    nur "Dieser Moment, wenn du einen alten Freund eines Freundes im Huxleys völlig betrunken an der Bar triffst, seinen Namen nur erahnen kannst und seine Freundin attraktiver als dein Date findest, schweißt zusammen." hat mich irritiert, dieser moment (..) schweißt zusammen, fand ich an der stelle komisch.

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