Und eigentlich sind wir uns noch
immer fremd. Aber dein Name steht auf meinem Badezimmerspiegel. Du hast ihn dort hingeschrieben, vor Wochen schon. Wenn der Wasserdampf den Raum flutet und die Luft schwerer wird, dann kann ich
ihn sehen. Eingerahmt in die Abdrücke unserer Hände, von dem Tag, als wir das letzte Mal
miteinander schliefen. Dann lese ich ihn vorwärts und rückwärts und grinse in den matten Dunst.
Und während meine Zahnbürste leise surrt, verschwinden zuerst unsere Fingerspitzen, dann
die Hände, dann dein Name und am Ende bleibt mein Spiegelbild. Und dann haben wir uns vor
meinen Augen aufgelöst. Nur deine Haare auf dem Badezimmerboden bleiben noch.
Und weil wir beide nie alleine
mit uns sind, sprechen wir gleichzeitig in ein Dutzend Sprachen. Gespräche ohne
echte Zuhörer, aber mit vielen Stimmen. Und weil keiner genau zuhört und jeder
etwas zu sagen hat, kommen wir in diesem Labyrinth nur an kargen Mauern, nicht
an Türen an. Durch die schmalen Löcher schauen wir neugierig hindurch und sehen
Dinge, die uns gefallen könnten. Aber dicker Stein isoliert das Fieber, das
dahinter kocht und lässt uns fröstelnd und zitternd auf unserer Seite zurück. Und
wir sind weiter auf der Suche nach dem Vorschlaghammer in einer Umgebung voll
chaotischer Denkmäler – um an Fassaden zu kratzen und die Mauern zu zerbrechen.
Ich würde dich auch darüber heben, doch dann hätte ich dich sicher verloren. Und
wenn der Wind durch Häuserschluchten zieht und uns an den Schulter reißt nehmen
wir uns in den Arm. Es ist das Leben eines Räubers, das wir beide führen. Immer
auf der Flucht nach vorn, weg von dem Zurück – jeden Tag ein bisschen mehr.
Doch auch wenn das hier Chaos ist, möchte ich jetzt nirgends anders sein. Mit
dir ein Lagerfeuer im Bett anzünden und nächtelang nicht schlafen. Staunend
dabei zusehen, wie die Wände Feuer fangen. Und alles um uns in Ruhe untergehen
sehen. Denn dein Chaos macht mich an.
Und manchmal ist in uns Winter.
Und die Stunden sind roh und zäh und gehen nicht vorbei, sondern bleiben neben
uns stehen und tippen uns auf die Schultern. Die Tage bis hier her zu uns
trüben die Sicht – flirren durch Raum und Kopf und hängen sich an die Gedanken,
machen sie schwerer. Und um uns herum scheint alles voll mit Panzersperren und
Schützengräben, keine Bewegung ist mehr möglich. Wir sind die Gejagten, und
hinter uns keifen die Hunde und Suchscheinwerfer kegeln ihr Licht beständig links
und rechts von uns. Und wir wirren umher. Weil du auch nicht weißt wohin. Und
weil ich auch nicht weiß wo lang. Matsch an unseren Füßen und keine Idee von
Freiheit, nur du und ich und ein drohender Winter am tristen Himmel über diesen
Dächern. Aber ich würde mit dir überwintern. Und wenn es kalt wird nehme ich
dich in den Arm. Und wenn du frierst zünde ich ein Feuer aus allem was mir
bleibt. Um weiterzumachen oder in deinen Armen zu erfrieren. Doch auch wenn
hier Haut auf Haut ruht, ist zwischen uns noch immer zu viel Platz.
Wahrscheinlich wissen wir noch
gar nicht, dass Nähe hier keinen Zwang bedeutet – und erst recht nicht
Stillstand und Tod. Dass gemeinsame Zeit nicht Aufgabe und Enge ist, sondern
die Freiheit das zu tun, was wir wollen. Weil wir es wollen. Und dass die
Gefechte die wir führen, keine verbrannte Erde hinterlassen müssen. Denn wir
führen sie anders. Und weil Zeit mir dir kein Krieg oder Waffenstillstand ist,
sondern Frieden bedeutet. Und weil wir eigentlich keine Panzer sind, sondern
Hubschrauber. Wir können uns auf der Stelle drehen und trotzdem an Höhe
gewinnen. Und irgendwann schauen wir vielleicht von oben auf die kahlen Köpfe
all der Anderen in den Schützengräben, zeigen mit geballten Fäusten in ihre
Richtung und halten uns vor Lachen die Bäuche.
Und in den Momenten, in denen wir
auf Mauern, Panzersperren, alte und neue Winter und das Flirren um uns herum
scheißen, würden sich unsere Lungen vielleicht endlich wieder mit Luft füllen
und uns zufrieden zusammensacken lassen. Am Ende Stünde ein Aufatmen, kein Ersticken.
Kein Kriegsnebel mehr, keine Winter. Nur ein ungetrübter, klarer Morgen an
einem eiskalten See. In welchen man erst vorsichtig den großen Zeh reinsteckt.
Dann langsam einen Fuß, und später, viel später erst bis zum Bauchnabel im
Wasser steht, bevor man sich mit einem tiefen Luftholen und großen Augen unter
die Oberfläche begibt. Und wenn wir uns dann anblicken könnten, in einem Moment
ohne Reue und Furcht, mit einer Sonne, die die Wasseroberfläche durchbricht wie
in einer kitschigen Margarinewerbung, um uns herum nur das kalte Wasser auf der
Haut, dem anderen in die Augen sehen, dann würden wir vielleicht verstehen,
dass wir uns eigentlich gar nicht mehr so fremd sind. Nur nicht frei.
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